Die Künstlerin und Wissenschaftlerin Addie Wagenknecht lebt und arbeitet sowohl in den USA als auch Europa. Wir lernten uns vor ein paar Jahren kennen, als sie mich dazu einlud, bei Deep Lab mitzumachen – einem Kollektiv aus cyberfeministischen Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen, Schriftstellerinnen, Ingenieurinnen und Kulturproduzentinnen, das sie 2014 mitbegründet hatte. Wir standen bereits zweimal bei der re:publica in Berlin gemeinsam auf der Bühne und es ist mir immer wieder ein Vergnügen, mich mit ihr über Kunst und freie Meinungsäußerung zu unterhalten.

Dieses Gespräch war da keine Ausnahme. Wir gingen auf unterschiedliche Themen ein, von Zensur in der Kunst über den Umgang mit obszönen Inhalten auf Social Media [Anmerkung des Autors: Dieses Interview enthält ebenfalls die ein oder andere Obszönität] bis hin zu den Auswirkungen von Verschwörungstheorien auf unsere Gesellschaft. Als erfolgreiche Künstlerin steuert Addie eine wichtige Perspektive zur anhaltenden Debatte über die Bedeutung der Meinungsfreiheit bei.

Jillian C. York: Lass uns anfangen. Was bedeutet freie Meinungsäußerung für dich?

Aus der Sicht einer Person, die im Bereich Kunst und Kultur arbeitet, hängt vieles davon ab, wie dieses Thema von Institutionen, Museen und kommerziellen Galerien sowie in der Kunstszene allgemein umgesetzt wird.

Persönlich geht es mir vor allem um das Recht, sich kreativ ausdrücken und Gedanken oder politische Gegebenheiten in Dinge umwandeln zu können, die auf öffentlichen Flächen ausgestellt werden dürfen. Die Schwierigkeit dabei: Viele Flächen sind privat oder durch Spender finanziert. Das heißt, es gibt unzählige Einschränkungen bezüglich dessen, was oder wie etwas ausgestellt werden darf.

York: Siehst du dich denn als Verfechterin bzw. Fürsprecherin freier Meinungsäußerung?

Ja, schon. Ich würde definitiv von mir behaupten, dass ich mich für freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit und die damit einhergehenden Rechte sowohl in den USA als auch außerhalb einsetze.

York: Möchtest du uns von einem deiner Erlebnisse mit Zensur berichten oder von einer Situation, in der du deine freie Meinungsäußerung für das Allgemeinwohl eingesetzt hast?

Das Erste, was mir dazu einfällt, ist das Projekt Webcam Venus [Anmerkung: Link enthält Nacktheit]. Es befasst sich mit High- und Lowbrow-Kultur, also dem „Unterschied zwischen Kunst und Alltag“[1], und der Frage, was ist Kunst und was Pornografie, worin bestehen die Unterschiede und wie erkennt man diese? Es ist ein Projekt, bei dem aus institutioneller Sicht wohlbekannte klassische Kunstwerke von Sexcam-Models nachgestellt werden. Dabei werden im Rahmen unserer Geschichte oder des Kunstkanons regelmäßig zitierte Gemälde mithilfe von Webcams sowie Sexarbeitern und -arbeiterinnen in einen neuen, zeitgenössischen Kontext eingebettet, rekontextualisiert.

Das Projekt war bereits mehrmals auf institutionellen Museumsausstellungen und kommerziell gesponserten Veranstaltungen zu sehen. Auch bei der Internet Week in New York sollte es gezeigt werden. Persönlich denke ich bei New York immer an Fortschritt: an einen Ort, an dem man tun und lassen kann, was man möchte, der radikal ist und offen für neue Ideen. Das Werk sollte also auf dieser Marketing- oder Technikwoche in New York ausgestellt werden. Doch schon fünf bis zehn Minuten nach dem Aufbau, kam jemand zu mir und sagte, sie könnten die Installation nicht zeigen. Es müsse sofort wieder abgebaut werden. Als ich nach dem Grund fragte, hieß es: „Google ist der Sponsor und möchte nicht, dass es ausgestellt wird. Es ist unangebracht und nichts, was wir den Leuten zeigen wollen.“ Also haben sie es wieder abgebaut. Sie dachten, es sei im Rahmen der Woche für Internetkultur vollkommen unangebracht.

York: Ich erinnere mich. Ich glaube, wir haben schon einmal bei einem unserer gemeinsamen Talks darüber geredet. Diesen Teil der Geschichte kannte ich allerdings noch nicht.

Es ist verrückt. Ich war schon immer der Auffassung, dass die Entwicklung von Technologien in vielerlei Hinsicht, darunter auch die Fortschritte des WLANs und der Internetgeschwindigkeit, durch bildliche Darstellungen und Pornografie vorangetrieben wurde. Zu erleben, wie diese Themen bei einer Feier der Internetkultur behandelt werden, als seien sie komplett isoliert vom Rest des Internets, hat mich wirklich sehr enttäuscht – und noch dazu in New York, von dem ich dachte, es sei so offen für neue Ideen und neue Dialoge. Die Tatsache, dass die Ausstellung abgebrochen wurde, hat diese Illusion für mich zerstört.

York: Echt verrückt. Was war der Anstoß für das Projekt? Was inspirierte dich dazu?

Ich arbeitete gerade mit Pablo Garcia zusammen und wir wollten gemeinsam ein Projekt auf die Beine stellen, lebten allerdings in verschiedenen Zeitzonen. Er war am Art Institute of Chicago und ich in Europa. Da wir trotz dieser zeitlichen und räumlichen Einschränkungen unsere Zusammenarbeit realisieren wollten, mussten wir uns ein „formloses“ Projekt ausdenken. Formlos in dem Sinne, dass wir nichts physisch Greifbares kreieren würden.

Im selben Jahr war ich bei der Transmediale in Berlin auf einen Talk zur Geschichte von Chatrooms und Pinnwänden, insbesondere aus der Sicht der Queer-Community, gestoßen. Es war interessant den Rednern dabei zuzuhören, wie sie über den Zugang zu Webcam-Darstellern dachten, und vor allem eine Seite faszinierte mich. Einer der Redner hatte diese interessante Website, die pornografisch gelesen/geschrieben wurde, im Zusammenhang mit der Geschichte von Pinnwänden und Internet Relay Chats (IRCs) erwähnt. Du hast sowohl Zugang zu den Webcam-Models als auch zum Chat oder einem Eingabesystem. So können die Darsteller auf beiden Wegen vermitteln, was sie bereit sind zu tun und was nicht. Der Redner hatte dies im Rahmen dieser Diskussion vorgeführt und ich fing an, mehr darüber zu recherchieren. Chat Roulette hatte mir schon immer gefallen: Man besucht die Website und wird über das Zufallsprinzip mit verschiedenen Webcams und Menschen weltweit verbunden. Ich interessierte mich also bereits für diese Unvorhersehbarkeit und die Erreichbarkeit mithilfe des Internets, sowie die Möglichkeiten, gewisse Räume im Web zu diesem Zweck zu nutzen.

Sexualität ist in der Kunst nach wie vor ein Thema, dessen Entwicklung vor allem durch Institutionen bestimmt wird. Von daher interessierte es mich, diese Thematik näher zu erkunden. Ich stellte Pablo meine Idee vor, schickte ihm den Link zu dem Talk und das Projekt nahm seinen Lauf. Viele seiner Werke beschäftigen sich mit der historischen Sicht auf Kunst und Architektur. So kam im Zuge der Zusammenarbeit einfach die Idee und Frage auf, wie man historische Werke, die durch Texte, Akademiker und Institutionen als Kunst definiert werden, rekontextualisieren und durch eine zeitgenössische Linse nachbilden könnte, und wie das Ganze dann aussehen würde. Würde man es weiterhin als Kunst betrachten, selbst wenn man durch ein zeitgenössisches Medium auf die klassischen Werke verweist?

York: Was für eine interessante Frage! Eine Sache, die mich dabei interessiert, ist, wie diverse Plattformen Nacktheit zensieren, wenn diese in einem modernen Format gezeigt wird.

Genau. Absolut.

York: Okay. Hier eine ganz andere Frage. Hast du ein Vorbild in Sachen freier Meinungsäußerung?

Eher nicht, denke ich. In den letzten Jahren haben sich das Internet und das politische Klima sehr gewandelt und die Menschen haben sich in verschiedene Richtungen entwickelt. Es gibt aber eine Aktivistengruppe, die ich schon immer bewundert habe, nämlich die Guerrilla Girls. Ich glaube, sie haben in den 80ern angefangen und es sind alles Frauen, die in der Kunstszene relativ hoch angesehen sind. Trotzdem laufen sie in Gorilla-Masken umher und agieren anonym. Dadurch können sie sich im Schutze dieser Anonymität für freie Meinungsäußerung einsetzen und gegen Ungleichheiten in Institutionen sowie andere Dinge, die die Menschen nicht öffentlich ansprechen möchten, ankämpfen.

York: Die Arbeit der Guerrilla Girls hat mich schon immer fasziniert. … Okay, noch ein kleiner Themenwechsel. Lass uns über Social Media reden. Was bereitet dir momentan Sorgen?

Die Tatsache, dass Verschwörungstheorien immer alltäglicher werden. Vor zehn Jahren wurde ein wissenschaftlicher Konsens beispielsweise noch als Fakt betrachtet. Doch inzwischen wird das von Machthabern komplett abgelehnt. Irgendwie haben wir den Punkt erreicht, an dem der Wunsch, die Welt nicht in Flammen aufgehen zu sehen, als „politisch radikale“ Einstellung gilt.

Es ist doch so: Unsere Communitys, sowohl online wie offline, sind von gemeinsamen Wahrheiten abhängig. Und wenn man mal darüber nachdenkt, haben das Internet und die Social-Media-Plattformen, auf die so viele von uns täglich angewiesen sind, ein Gefühl von Identität geschaffen, indem sie den Stellenwert unserer Meinungen übermäßig aufblasen und das Empfinden des Widerstands in gleichem Maße maximieren. Und das alles, während sie zugleich das Gefühl, das wir persönlich Einfluss auf Dinge ausüben können, in allen möglichen Bereichen zerstören. Wir sind uns unserer eigenen Bestätigungstendenz auf diesen Plattformen gar nicht bewusst, weil alles gleichermaßen legitim erscheinen kann. Unser Privatleben wird wortwörtlich monetarisiert und öffentlich bekannt gemacht. Was mir allerdings noch weitaus mehr Sorgen bereitet, ist, dass die Menschen scheinbar die Fähigkeit verloren haben, Fakten kritisch zu analysieren. Eine Fähigkeit, von der unsere Demokratie und unsere Freiheiten – die der Rede, der Kunst und der freien Meinungsäußerung – buchstäblich abhängen.

Firmen wie Facebook werden sich nicht verändern. Ihr gesamtes Profitmodell basiert auf Klicks und nichts generiert so viele Klicks, wie Lügen und Verschwörungstheorien oder wenn die mächtigsten und privilegiertesten Männer der Welt die Opferrolle spielen. Einige dieser Probleme könnten möglicherweise gemindert werden, indem man Social-Media-Unternehmen die gleichen Grundprinzipien auferlegt wie den Print-, Film- und Fernsehmedien.

Wäre Facebook beispielsweise dazu verpflichtet, Werbeanzeigen vor ihrer Schaltung auf Fakten zu überprüfen, könnte dies Mikro-Targeting und das Verbreiten von Lügen und Fehlinformationen von vornherein unterbinden. Bisher tut es das allerdings nicht. Stattdessen hilft es dir dabei, dein Zielpublikum gezielt anzusprechen und so die höchstmögliche Publikumseinbindung und Views zu erreichen, wodurch es Fehlinformationen massenhaft verbreitet und begünstigt.

York: Denkst du also, dass jegliche Art von Meinungsäußerung online reguliert werden sollte? Und wenn ja, wie?

Ich bin ein großer Befürworter der Rede- bzw. Meinungsfreiheit und dem Recht, diese zum Ausdruck zu bringen. Leider sind Menschen, die außerhalb der USA leben, nicht durch die gleichen verfassungsmäßigen Rechte geschützt. Die Wahrung dieser Freiheiten setzt also irgendeine Art von Schutz für die Menschen außerhalb der USA voraus, da diese nicht unbedingt dieselben Rechte haben.

Gleichzeitig zähle ich mich irgendwie auch zu den Befürwortern der Anti-Verordnungs- und Anti-Zensur-Bewegungen. Ich bin der Meinung, solche Dinge können innerhalb der Communitys, im Internet aber auch in der Realität selbst geregelt werden. Von daher glaube ich eigentlich nicht, dass [Meinungsäußerung] reguliert werden muss. Die Art und Weise, wie sie derzeit reguliert wird – nämlich mit Zensuren, die von Unternehmen wie Facebook verhängt werden oder von Personen, die in diversen Ländern mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Normen geschult werden – ist meines Erachtens auch nicht unbedingt der richtige Weg. Ich finde dagegen das System hilfreich, bei dem zum Beispiel Inhalte mit einem Warnhinweis verdeckt werden. Mir ist aufgefallen, dass ein paar Seiten angefangen haben, dieses System zu nutzen. Wenn ein Inhalt, beispielsweise auf Twitter oder YouTube, genügend negative Bewertungen bekommt, kannst du selbst entscheiden, ob du die Warnung wegklicken möchtest oder nicht.

York: Ja, Twitter ist in diesem Fall wirklich interessant, da diese Funktion scheinbar auf einer Liste von Schlüsselwörtern beruht. „Vagina“, zum Beispiel, scheint ebenfalls zu den „anstößigen“ Wörtern zu zählen, was ich sehr merkwürdig finde.

Ja, ich meine, es verwundert mich auch, dass „Schwanz“, „Vagina“ oder ähnliche Worte als anstößig angesehen werden, es aber gleichzeitig toleriert wird, wenn jemand abschätzig über eine andere Person redet, zum Beispiel durch rassistische Bemerkungen. Das wird akzeptiert, Anatomie aber nicht. Wie man zwischen diesen Feinheiten unterscheidet, ist maßgeblich für die Lösung einiger solcher Probleme – eine goldene Eintrittskarte gewissermaßen. Wie kann man freie Meinungsäußerung ermöglichen, ohne diese Dinge zu zensieren? Wenn wir dafür Lösungen finden könnten, glaube ich, hätten wir eine wirklich zukunftsfähige Social-Media-Plattform.

Ich finde es interessant, dass Jordan Peterson gerade eine Art Anti-Zensur-Pinnwand auf die Beine stellt. Die spannende Frage dabei ist, wie sich das auf seine neue Fangemeinschaft übertragen lässt. Ich habe gehört, sie werden weder Zensuren verhängen noch den Zugang in irgendeiner Weise einschränken. Ich frage mich, ob es am Ende 4chan oder 8chan ähneln wird, oder doch tatsächlich zu einem Raum für brauchbaren Diskurs wird.

York: Das würde mich auch interessieren. Was du zur goldenen Eintrittskarte gesagt hast – da ist eigentlich niemand, der ernsthaft daran arbeitet, das zu realisieren. Das Schwierige daran ist, dass es bisher noch keine KI gibt, die in der Lage ist, solche Sachen zu erkennen. Wenn jemand behauptet „Frauen sind Männern unterlegen“, ist es momentan absolut ausgeschlossen, dass eine KI diese Aussage als abfällig einstuft. Dagegen ist es ein Leichtes, Worte einzuschleusen, die von Leuten als anstößig empfunden werden. Gerade deshalb sind Worte wie „Fuck“ in diesem Kontext äußerst interessant.

Ja. Worte wie „Fuck“, „Shit“ [wortwörtlich, Scheiße] oder „Bitch“ [sowohl Schlampe und Zicke als auch Hündin oder Wölfin] können, abhängig vom sprachlichen Zusammenhang, teilweise so zweideutig sein. Außerdem kommt es dann noch darauf an, wer die KI geschrieben hat. Denn wer sie geschrieben hat, oder auch wie sie geschrieben wurde, hat natürlich einen Einfluss auf die KI.

In gewissem Maße halten Menschen Codes, Wissenschaft und Mathematik von Natur aus für neutral. Tatsächlich sind diese Dinge aber irgendwie in die Vorurteile derjenigen eingebettet, die sie schreiben bzw. erarbeiten. Wenn du also ein Programm mit Computervision schreibst, hast du zum Beispiel dieses GIF mit der Aufschrift „Warum maschinelles Sehen nicht neutral ist“ auf Twitter gesehen? Es zeigt eine weiße Hand unter einem Seifenspender, der seiner Funktion gemäß Seife spendet. Als dann aber eine schwarze Hand erscheint, erkennt der Seifenspender diese nicht.

York: Wow. Das ist einfach so offensichtlich.

Ich muss oft daran denken, weil wir so viel Vertrauen in diese Technologien und diese größeren Systeme stecken und die Unternehmen, die diese erstellen. Vielleicht hat sich das auf gesellschaftlicher Ebene inzwischen geändert und die Leute realisieren langsam, dass diese Systeme von Haus aus verzerrt und eben nicht neutral sind. Deswegen ist es so interessant, sich anzusehen, wer die Systeme baut und was genau gebaut wird. Das ist auch der Grund, warum mich die Arbeit von Kate Crawford und Meredith Whitaker bei AI Now so fasziniert.

York: Okay, mal sehen … habe ich noch irgendetwas vergessen?

Die Auswirkungen auf Menschen, die ohne Rücksicht auf die Maßstäbe der Kunstszene unverblümt ihre Meinung äußern, sind für mich ebenfalls ein interessantes Thema. Ich sollte vor Kurzem in einer Großstadt eine meiner Shows zeigen. Der Ausstellungsraum wollte das aber nicht, da mein Stück zu politisch sei und sie waren davon überzeugt, dass Politisches sich nicht verkaufe und die Leute es nicht sehen wollen. Als Künstler – und das Gleiche gilt wahrscheinlich für diejenigen, die sich mit freier Meinungsäußerung beschäftigen – steht man öfter vor der verzwickten Herausforderung, dass, wenn man sich dazu entscheidet, politisch zu agieren oder sich für ein bestimmtes Thema auszusprechen, es gewisse Auswirkungen auf dein berufliches Wohlergehen hat: auf dein Einkommen, deine Verkaufszahlen und all die Dinge, die gewissermaßen deinen Lebensunterhalt bestimmen. Wenn ich also inoffiziell mit Künstlern oder Kuratoren in meinem Bekanntenkreis rede, beharren sie darauf, keine Meinungen vertreten zu wollen, die mit Politik, Aktivismus oder Redefreiheit zu tun haben, weil sie nicht als radikal eingestuft werden wollen.

Vor Kurzem kam es zu großen Unruhen in der Kunstszene: unter anderem, weil sich Künstler aufgrund der Verbindung zwischen der Whitney Biennial und der Erfinder-Familie von Oxycontin gegen eine Ausstellung bei der Biennale entschieden. Inzwischen ist manchen also durchaus bewusst, welche finanzielle Unterstützung sich dahinter verbirgt und welche Dinge wir implizit befürworten, wenn wir Werke ausstellen, die wir zeigen dürfen und die nicht unangenehm auffallen.

York: Bestehen für dich Parallelen zwischen Kunstinstitutionen und dem Silicon Valley?

Durchaus. Beide werden in der Regel von genau derselben Art von Leuten geleitet, nämlich hochgradig privilegierten Weißen. Ich müsste nochmal nachschauen, aber ich glaube, die Guerrilla Girls sind eine gute Bezugsquelle diesbezüglich. Sie haben etwas erstellt, das [die prozentualen Anteile von Weißen, Frauen und Nicht-Weißen in der Kunstszene] darstellt. Wenn man sich dann ansieht, wie der Kanon der Kunst und des Silicon Valley jeweils aufgebaut sind, ähneln sich die beiden doch schon sehr hinsichtlich Finanzierungen mit Risikokapital und der Start-up-Kultur [Anmerkung: Die Guerrilla Girls haben sich auch mit der ethnischen Zusammensetzung von Internetusern befasst].

Das ist es, was Geschichte schreibt. Es gibt also einen Großteil der Bevölkerung, der weder bei der Entstehung zeitgenössischer noch historischer Geschichten berücksichtigt wird, und es sind nun mal diese Geschichten, die die Zukunft formen. Die Frage, wer das Recht auf Zugang hat, wer das Privileg auf Zugang hat und wer seine Werke letztendlich ausstellen darf für mich bestehen da auf jeden Fall Parallelen.

York: Vielen Dank, Addie, für dieses faszinierende Gespräch.

[1] Highbrow / Lowbrow - Zur Legitimität einer kulturellen Wertsphäre im Zeitalter der Globalisierung, Kaiser, F. W. https://www.academia.edu/39886018/Highbrow_Lowbrow_-_Zur_Legitimit%C3%A4t_einer_kulturellen_Wertsph%C3%A4re_im_Zeitalter_der_Globalisierung?auto=download

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