Aktualisierung, 9 November 2022: Wir sind erleichtert, dass Aryan Eqbal und andere Verteidiger*innen digitaler Grundrechte aus dem Gefängnis entlassen wurden. Jadi Mirmirani ist nach wie vor zu Unrecht inhaftiert. Wir werden die Entwicklung weiterhin verfolgen.

Wir, die unterzeichnenden Menschenrechtsorganisationen, verurteilen aufs Schärfste die rücksichtslose Verfolgung, Schikanierung und Verhaftung von Technologieexpert*innen und Verteidiger*innen digitaler Rechte durch die iranischen Behörden inmitten der tödlichen Niederschlagung der landesweiten Proteste und fordern ihre sofortige und bedingungslose Freilassung.

In dem Versuch, den Volksaufstand niederzuschlagen und die Internetaktivitäten und den Informationsfluss weiter einzuschränken, verschärfen die iranischen Behörden ihr gewaltsames Vorgehen gegen Menschen in ganz Iran und nehmen nun auch Internet- bzw. Technologieexpert*innen ins Visier. Bislang haben die iranischen Behörden eine alarmierende Zahl von Menschen aus technischen Branchen und Netzwerkadministration verhaftet, die sich für die digitalen Rechte im Iran eingesetzt haben. Die Verhafteten haben Internetbeschränkungen kritisiert, Proteste unterstützt oder sich für digitale Rechte eingesetzt. Wir sind besorgt über den wachsenden Druck auf diese Gemeinschaft, einschließlich Technologiejournalist*innen und Blogger*innen, und die Unterdrückung ihrer Kritik an den Behörden. Jeder Versuch, Nachforschungen anzustellen oder Transparenz in Fragen der digitalen Unterdrückung oder Proteste zu schaffen, wird brutal unterdrückt. Die Welt darf nicht zulassen, dass die Islamische Republik Iran diese Art der Verfolgung normalisiert. Die Regierung muss diese Gefangenen sofort freilassen.

Seit Beginn der Proteste nach dem Tod der 22-jährigen iranischen Kurdin Mahsa (Jhina) Amini in Polizeigewahrsam wurden bekannte Menschen aus Technologiebranchen, Verteidigende digitaler Rechte und Expert*innen für Internetrechte  von den Behörden gezielt festgenommen.

Am 5. Oktober verhafteten die Behörden Amiremad (Jadi) Mirmirani, einen Blogger und einen der führenden Technologen und Verfechter digitaler Rechte im Iran. Wie ein Familienmitglied auf Instagram mitteilte, stürmten die Behörden gewaltsam in Mirmiranis Haus und verhafteten ihn willkürlich: "Heute um 2 Uhr haben sie an der Tür geklingelt und gesagt, dass wir ein Gasleck haben. Als wir zur Tür gingen, griffen sie uns an. Sie drangen mit Gewalt ein, schüchterten uns ein und drohten uns mit Tasern [Elektroschockern] und Schusswaffen. Sie kamen ohne Durchsuchungsbefehl und nahmen Jadi ohne jede rechtliche Grundlage mit.

Während dieser Proteste wurde Aryan Eqbal, ein weiterer Spezialist auf dem Gebiet der Technologie und des Internetzugangs, festgenommen und körperlich angegriffen. Die Ehefrau des inhaftierten Experten Eqbal betonte, dass ihr Mann in keine illegalen Aktivitäten verwickelt sei, die seine Verhaftung rechtfertigen würden. Sie sagte der Zeitung Shargh: „Aryans einziges Anliegen war immer das Recht der Menschen auf einen freien Zugang zum Internet. Und das gilt nicht nur für sein eigenes Land, sondern für die ganze Welt. Er hat sich nur gegen das Schutzgesetz und die Unterbrechungen und Beschränkungen des Internetzugangs seines Volkes ausgesprochen, sonst nichts".

Viele der verhafteten Personen haben sich gegen das drakonische Nutzerschutzgesetz ausgesprochen. Zu den besorgniserregendsten Elementen des Gesetzentwurfs gehören die Sperrung aller ausländischen Dienste, die sich weigern, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, sowie die Kriminalisierung und Unterbindung der Nutzung von Umgehungstechnologien (wie VPNs) – zwei Maßnahmen, die die Form der Internetbeschränkungen während der Proteste bestimmt haben. Der Gesetzesentwurf befindet sich seit über zwei Jahren im Ratifizierungsprozess im iranischen Parlament, doch aufgrund der weit verbreiteten Kritik und des Widerstands im In- und Ausland wurden seine Maßnahmen im Stillen umgesetzt.

Die aus diesem Unterdrückungsgesetz hervorgegangenen Maßnahmen und Entwicklungen haben neue Methoden zur Unterbrechung des Internets bei Protesten ermöglicht. Zu diesen neuen Methoden gehört die Unterbindung der Internetnutzung durch Sperrungen von Mobilfunknetzen, da die Mehrheit der Internetnutzenden auf mobile Internetdaten angewiesen ist. Darüber hinaus gab es konzertierte und ausgeklügelte Angriffe zur Deaktivierung von VPNs. Dies bedeutete, dass ausländische, sichere Internetdienste, einschließlich der weit verbreiteten Instagram und WhatsApp (die kürzlich während der Proteste blockiert wurden) angegriffen wurden.

Die übergreifende digitale Unterdrückung des Irans während der laufenden landesweiten Proteste ist schwerwiegend. Die intensive Online-Internetzensur sowie die teilweisen und zeitweiligen Unterbrechungen und Abschaltungen seit dem 16. September haben extreme Auswirkungen auf den freien Fluss von Informationen und Dokumentationen. Diese Angriffe auf Technologen sind eine beängstigende weitere Eskalation der Unterdrückung in der Islamischen Republik Iran, die sich gegen die Menschenrechte richtet und jede Hoffnung auf digitale Rechte zunichte macht.

Wir sind zutiefst beunruhigt über die gewaltsame und hemmungslose Niederschlagung der Proteste und die rechtswidrige Anwendung tödlicher Gewalt gegen Demonstrant*innen und Umstehende, die keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben darstellen, sowie über die gewaltsame Verhaftung und willkürliche Inhaftierung von Menschen, die digitale und Menschenrechte verteidigen, und die anhaltenden Internetbeschränkungen in ganz Iran. Seit dem Ausbruch der landesweiten Proteste vor drei Wochen wurden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen mindestens 201 Demonstran*innen und Unbeteiligte getötet, darunter mindestens 23 Kinder. Man geht davon aus, dass die Zahl der Todesopfer noch höher ist. Die iranischen Behörden haben außerdem mehr als siebzig Menschenrechtsaktivist*innen willkürlich verhaftet, zusätzlich zu mindestens 40 Journalist*innen und Studentenaktivist*innen, von denen einige bereits wegen „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“ angeklagt wurden. Es wird vermutet, dass die Zahl der Verhaftungen in die Tausende geht.

Dieses jüngste Vorgehen ist ein beängstigendes Zeichen dafür, dass keine Stimme und keine Form der Meinungsäußerung bei diesem brutalen Vorgehen verschont wird.  

Die iranische Regierung muss inhaftierte Technologen und all jene, die willkürlich verhaftet wurden, weil sie ihre Menschenrechte wahrgenommen haben, unverzüglich freilassen und die gewaltsame Unterdrückung der Proteste - sowohl online als auch offline - beenden. Die iranischen Behörden müssen unabhängig und strafrechtlich untersucht werden, weil sie - völlig ungestraft - schwere Verbrechen nach internationalem Recht und andere schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben.

Unterzeichende Personen und Organisationen:

Access Now

ARTICLE19

Electronic Frontier Foundation (EFF) 

Front Line Defenders



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